Donnerstag, 7. Juli 2011

Wer träumt die sophiensæle?

Foto © Markus Heine
In meinen Träumen laufe ich oft durch ein großes Gebäude, das an eine alte Schule erinnert. Lange Flure und endlose Treppenhäuser. Mein abgegriffenes Handbuch der Traumsymbolik (Goldmann-Verlag), das ich 1990 im Gartenhäuschen meiner Großeltern gefunden habe, sagt mir, dass Häuser im Traum für das eigene Selbst stehen, der Keller beispielsweise für das Unbewusste. Na ja. Dasselbe Buch hat mir empfohlen dringend zur Psychotherapie zu gehen, als ich mit 9 Jahren von Bomben auf dem Spielplatz geträumt habe (und eigentlich nur heimlich einen zu aufregenden Krimi im Fernsehen gesehen hatte). Bleibe ich bei der Annahme, das Traum-Haus würde für das Selbst des Träumenden stehen, stellt sich die Frage: Wer träumt die sophiensaele? 

Foto Festsaal © Markus Heine
Momentan sind alle Flure und Treppenhäuser von einer mehr oder minder feinen Schicht Baustaub bedeckt. Sherlock Holmes hätte seine Freude daran, hier auf Fußspurensuche zu gehen. Im Festsaal wird die Galerie auf allen Seiten geöffnet, die Werkstatt ist schon abgerissen. Der aufgerissene Boden wirkt zudem wie die perfekte Theaterkulisse. Das Foyer ist größer, nach hinten offen und wenn man nicht aufpasst, könnte man in den ausgehobenen Schacht für den neuen Fahrstuhl fallen. Was würde das Handbuch wohl zu so einem Traummoment sagen? Gleichzeitig ist das Haus Ort größter Kontraste. Profane Baustelle inklusive Schenkelklopferhumor, Bauschutt und lautem Gehämmer bei Tag. Beinahe verzaubert, eine abenteuerliche Filmkulisse für den nächsten nostalgischen Fantasystreifen in abendlicher Ruhe. Das alles zusammen ergäbe ein interessantes TräumerInnen-Selbst. Der Keller ein vollgestelltes Lager mit Dingen, die normalerweise in den oberen Etagen des Hauses zu finden sind. Die sophiensaele-Büros halbverlassen und ausgeräumt, die MitarbeiterInnen als NomadInnen, die von Schreibtisch zu Schreibtisch wandern. Knisternde Plastikvorhänge die über Bücherregalen hängen. Wo mal Toiletten waren und Gänge, fällt man in die nächste oder übernächste Etage. Der Festsaal entkleidet. Das Foyer eine lichtdurchflutete Schutthalde. Der Hochzeitssaal leer und in Erwartung auf bessere Zeiten. Und im Hof das Baugerüst und ein Container, der für die Massen an Schutt, die permanent die Halde herunter gerollt werden, eigentlich viel zu klein ist. Das Handbuch der Traumsymbolik würde bestimmt sagen, dass der/die sophiensaele-Träumende sich in einer Phase des Umbruchs befände, in stürmischen Zeiten, die Verborgenes zu Tage bringen. Dass jeder Tag ein Auf und Ab der Stimmungen sei und man schnell mal verloren gehen kann. Dass der/die Träumende gut auf sich achten soll, aber auch seiner Substanz vertrauen kann. Dass unnütze Gewohnheiten und unschöne Eigenarten abgelegt werden. Dass nach der staubigen Talsohle, die zunächst erreicht werden muss, glanzvolle Zeiten kommen. Keine schlechten Analyse-Aussichten.
Christiane Kretschmer
 
Foto Foyer © Markus Heine 
Foto Foyer © Markus Heine 

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