Montag, 1. August 2011

Autogenes Schwinden

Foto © Johanna Hullár

Mumifizierte Ratten liegen neben Knochenteilen und Münzen. Farbe schält sich von den Wänden wie Haut nach einem Sonnenbrand. Auf dem Boden vereinzelte Postkarten mit Premierenwünschen zu längst abgespielten Produktionen. Jemand hat versucht das Treppenhaus zu wischen und der Staubschlamm zieht sich in Ornamenten über die Stufen. Der Geruch von verschmortem Gummi und Staub überlagert das vertraute Odeur aus den vorsintflutlichen Rohrleitungen. Statt einer Wand trennt nun ein Graben das Foyer vom Treppenhaus.
Ein roter Rüssel ragt aus dem Festsaal in den Hof und hustet in unregelmäßigen Abständen Holzsplitter und Schutt in den Hof und im Hinterhof wächst ein Beckettscher Sandhaufen aus dem Boden. Kein Mensch zu sehen. Nur dumpfe Schläge und Bohrgeräusche aus den Tiefen der sophiensæle lassen erahnen, dass das Haus den Schutt diesmal nicht selbst hervorbringt.
Der Bürotrakt liegt scheinbar verlassen unter einer immer dicker werdenden Staubschicht. Der Briefkasten ist leer, mein E-Mail-Postfach auch, kein Telefon klingelt, niemand kommt vorbei und selbst der Himmel ist staubig-grau. Zwei fette Tauben sitzen abwartend auf dem Fensterbrett des Giebelfensters am Treppenhaus und schauen skeptisch und neugierig in den Regen.
Im Kommunikationsbüro sieht alles nach überstürztem Aufbruch aus. An der Garderobe hängen Bauhelme neben blonden Langhaarperücken. Schreibtischlampen ragen nutzlos über die leeren Tischplatten mit den stummen Telefonen. Das Regal ist unzureichend mit Folie abgedeckt, auf dem Boden stehen halbgepackte Umzugskartons und an der Wand wartet ein Heer von Wasch- und Geschirrspülmaschinen auf eine glamourösere Zukunft. Der Fußboden klebt.
Über meinen Computerbildschirm läuft ein transparentes Geisterinsekt verwirrt von oben nach unten von rechts nach links und weiß auch nicht wohin mit sich selbst.Die letzte Vorstellung liegt scheinbar ewig zurück. Meine KollegInnen sind im Urlaub oder an der Spree, die wenigen Hiergebliebenen schlurfen ab und an schlüsselklappernd an meinem Übergangsbüro fka Wellnessbüro vorbei.  Aufräumen, Wegräumen, Aussortieren, Archivieren. Aktualisieren.  Jeder Tag ist eine notwendig-eintönige Aufarbeitung von Liegengebliebenem, selten unterbrochen durch die zaghaften Vorwehen der kommenden Spielzeit. Sommerpause als Verwaltung von Vergangenheit und Vorbereitung von Zukunft. Und unter mir befreit sich der Festsaal Tag für Tag von alten Zeitschichten.

Nina Klöckner

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen